(Dienstagmorgen, 16. Oktober 2018)

„Jetzt geht´s los?“
„Nimmst du das alles auf?“
„Dann muss ich ja genau aufpassen, was ich sage.“
„Warte kurz, mach nochmal Pause, ich muss noch mein Handy ausmachen.“

Die MIETHKE-Entwickler Robert und Christian sitzen mir entspannt gegenüber und warten, dass ich die erste Frage zu unserem ersten hochoffiziellen Interview stelle. So etwas haben wir hier noch nie gemacht. Aber warum nicht mal hinter die Kulissen schauen und die Entwickler selbst fragen, was sie bewegt, wenn sie monatelang an Ideen feilen, Verfahren verfeinern, Rückschläge erfahren oder auf Widerstände stoßen, die mit Entwicklung vielleicht gar nichts zu tun haben. Beide haben ihr Büro direkt neben meinem und ich kann mich in all den Monaten an kein lautes Fluchen von nebenan erinnern. Wieso eigentlich nicht? War es nicht da? Oder fluchen die beiden leise? Das werde ich rauskriegen.

 

Ich erinnere mich noch an eine E-Mail von euch aus dem Frühling... da hieß es, wenn das M.blue fertig ist, wird gefeiert... Ist es nicht fertig oder hat die Party ohne mich stattgefunden?

Robert lacht: „Jaaha, wie man es nimmt. Fertig entwickelt ist es schon, zugelassen auch, aber unsere Arbeit ist damit noch nicht ganz abgeschlossen. Aber gefeiert wird noch und dann kriegst du auch eine Einladung.“

Christian: „Wir arbeiten nun mit Hochdruck daraufhin, die ersten Ventile auszuliefern, damit sich unser neues Ventil auch im Klinikalltag bewähren kann. Das heißt: Serienfertigung. Wir sind auch dafür zuständig, dass so eine Entwicklung reibungslos in die Serienfertigung überführt wird. Sobald die Pakete mit den ersten Bestellungen das Haus verlassen haben, ist ein essentieller Teil des Projektes abgeschlossen. Und dann kann die Party steigen."

Christian Gleumes begann 2010 als Praktikant bei MIETHKE, blieb als Werkstudent, schrieb später seine Masterarbeit hier und ist heute stellvertretender Entwicklungsleiter und Leiter PMO.

Robert Bialas ist seit 2014 Entwicklungsingenieur und Projektleiter bei uns.

 

Wann kam zum ersten Mal der Gedanke auf, das M.blue entwickeln zu wollen? Oder war es eher ein „zu müssen“?

Christian: „Schon als wir das proGAV 2.0 2012/ 2013 entwickelt haben, wurde uns klar, dass das M.blue kommen müsste. Mehr sogar: dass es am Ende das wichtigere Ventil sein würde.“

Robert: „Ja, ein echter Aha-Moment bei uns."

 

Warum?

Robert: „Ausschlaggebend war der Gedanke, dass unser proSA eigentlich das innovativere und für den Patienten selbst das viel wichtigere Ventil ist, da es als einziges Ventil weltweit die Verstellung des Öffnungsdrucks für die aufrechte Position zulässt. Schließlich ist das die Körperlage, in der man viel dynamischer ist, in der mehr passiert - bei jedem anders - und bei der deshalb der Bedarf oder sogar die Notwendigkeit zur individuellen Verstellbarkeit noch viel höher ist. Überdrainage ist eine Gefahr, die – schon physikalisch begründet – vor allem in der aufrechten Körperlage auftritt. Das proSA war gut und folgte absolut dem richtigen Grundgedanken, aber mit all den Verbesserungen, die wir im proGAV 2.0 dabei waren zu integrieren, wurde uns immer klarer, dass mit diesen Neuerungen ein noch viel besseres verstellbares Gravitationsventil entstehen könnte. – Und aus diesen Gedanken entstand dann ein echtes Projekt.“

 

Wer hatte die Idee zum M.blue eigentlich?

Robert: „80 von 100 Ideen hat unser Chef. Aber in diesem Fall war es tatsächlich fast ein gemeinschaftlicher Geistesblitz.“

Christian: „Essentiell war die Entscheidung, neben der verstellbaren Gravitationseinheit auch eine Differenzdruckeinheit zu integrieren. Damit wurde aus einem proSA mit proGAV 2.0-Features ein eigenständiges Ventilkonzept. Das Beste aus beiden Welten sozusagen, das wir dann noch weiter verfeinerten. Das gilt sowohl für das M.blue an sich als auch für die zugehörigen M.blue plus Instrumente.“

 

Ist es unter Entwicklern wichtig, WER die zündende Idee hatte?

Christian: „Absolut. Wir liefern uns da ein richtiges Battle und führen Strichliste und der Sieger bekommt am Ende des Jahres ein Paar neue Topflappen. Haha, nein, im Ernst: es ist wichtig, aber wenn du dieses Gespräch jetzt hier mit uns beiden führst, stehen wir damit stellvertretend für das ganze Team, das zur Entwicklung beigetragen hat.“

Robert: „Alles, was wir hier tun, ist immer eine Gemeinschaftsleistung. Interdisziplinarität und Perspektivwechsel sind der Schlüssel – und eigentlich immer braucht es auch Zeit: um das richtige Team zusammenzustellen, um Ideen wachsen zu lassen, zu testen, zu verwerfen und wieder neu aufzunehmen, um keine Fehler zu machen und letztlich auch für die Dokumentation, die notwendig und aufwendig ist. So war das auch beim M.blue. Wie bei anderen Projekten hat uns bei der Entwicklung hier auch der direkte Draht zu den Ärzten sehr geholfen. Wir haben oft das Gespräch mit Neurochirugen gesucht - auf Kongressen oder auch bei Besuchen hier bei uns im Haus. Da sind Anforderungen, Wünsche und das Feedback zu einzelnen Entwicklungsschritten auch direkt ins Produkt eingeflossen. Das ist immer wichtig für uns und unsere Arbeit!“

Was ist für euch das Besondere am M.blue?

Christian: „Zum Einen ist es die Tatsache, dass hier alle guten Ideen der anderen Ventile und der zugehörigen Mess- & Verstellinstrumente miteinander verheiratet und dann noch weiter ausgefeilt wurden. Zum Anderen hat bei diesem Projekt ein enormer Wissenstransfer stattgefunden. Das heißt, wir haben uns auch die ganze Fertigungskette des Ventils und der Instrumente angeschaut und Schritte, die vorher von externen Partnern getätigt wurden, zu uns ins Haus geholt. Dieses Vorgehen war zwar zeitaufwändig, hat sich aber gelohnt: nicht nur in puncto Know-How, sondern auch mit Blick auf die Qualität.“

 

Gab es Momente, wo ihr einfach nicht weitergekommen seid? Und sind das dann eher Ideen-Findungs-Lücken wie so eine Schreibblockade bei Autoren oder ganz alltägliche Hürden wie sture Zulieferer oder schwierige Regularien?

Christian: „Die gab es natürlich. Alles andere wäre geflunkert. Als wir mit der Entwicklung des M.blue starteten, hatten wir beispielsweise gerade so viele Projekte parallel, dass wir nicht fokussiert arbeiten konnten. Dadurch traten wir gerade zu Beginn etwas auf der Stelle, wenngleich das nicht an mangelnden Ideen lag. Eher an zu vielen.“

Dabei kann er sich ein Grinsen nicht verkneifen. Das ist nämlich fast Alltag hier bei uns. „So richtig los ging es dann, als wir es schafften, unseren Fokus ganz gezielt auf das damals noch namenslose M.blue zu richten.“

Robert: „Das stimmt. Ich erinnere mich an einen weiteren solchen Moment. Als ich ganz am Anfang meine ersten Gedanken zu den neuen Instrumenten vorstellte und von meiner Idee,  einen Schwimmer – so ähnlich wie er heute im Instrument verbaut ist -  zu integrieren, erzählte, konnte ich unseren Chef nicht so richtig dafür begeistern, Das hat am Anfang ganz schön an mir genagt. Dann habe ich die alternativen Ideen aber erstmal ignoriert und den Schwimmer einfach ausprobiert. Und es hat funktioniert. Gut sogar. Mit kleinen Anpassungen ist er heute ein wesentlicher Teil des Kompasses."

 

Wie muss ich mir denn so einen Entwicklungsprozess vorstellen?

Christian: „Am Anfang steht die Idee, dann gehen wir in die Machbarkeit und können uns erstmal frei ran tasten, ob die Idee überhaupt funktionieren kann. Wenn das klar ist, beginnt erst der ganz offizielle Entwicklungsprozess und damit die Dokumentationspflicht. Ab jetzt wird jeder Schritt dokumentiert, geprüft und mehrfach abgesichert. Zur Zulassungsvorbereitung gehört aber nicht nur ein funktionierendes Produkt sondern auch der Nachweis, dass die Fertigungsprozesse alle sicher funktionieren. Das heißt, wir Entwickler sind auch dafür zuständig, die Entwicklung in die Fertigung zu überführen und das entsprechend zu dokumentieren. Das machen wir eng zusammen mit dem Qualitätsmanagement und der Produktion. Dann erst geht die Akte als großes Gemeinschaftswerk vieler Abteilungen in die Zulassung.“

 

Wie lange hat es also gedauert von der Idee für das M.blue bis heute?

Christian: „Etwa drei Jahre.“

 

Ist das schnell oder langsam?

Robert: „Das ist gut.“

 

Was war in der ganzen Zeit euer erhebendster Moment?

Robert: „Zwei Dinge: Das gute Feedback der Ärzte im letzten Jahr bei der ersten offiziellen Vorstellung des M.blue mit den Instrumenten und – viel länger her - eine anerkennende Bemerkung von Christoph (Anm. d. Red.: unser Chef) zum Schwimmer im Kompass."

Christian: „Stimmt, daran kann ich mich noch erinnern. Einer der für mich besten Momente ist noch gar nicht so lange her und schließt sich daran eigentlich auch etwas an. Im Sommer hat eine Hydrocephalus-Patientin, die unsere Produkte implantiert hat, ein Praktikum bei uns in der Forschung & Entwicklung gemacht. Dabei kam sie natürlich auch mit dem M.blue und den M.blue plus Instrumenten in Berührung – und war total begeistert. Sie führte dann mit einigen Kollegen sogar einen Usability Test durch, den sie selber plante und durchführte. Ihre intuitive Nutzung der Instrumente, ihr Enthusiasmus und natürlich auch das fehlerfreie Funktionieren zu sehen – das hatte schon was.“

 

Warum ist das M.blue blau?

Christian lacht: „… weil irgendjemand meinte, wir sollten mal was mit Farbe probieren.“

Robert: „... wir haben es aus Spaß auch mal gold gefärbt. Christoph und unser Produktmanagement fanden es cool. Aber ihr aus dem Marketing nicht. Und irgendwie habt ihr euch da durchgesetzt...“

Christian: „Wir haben einfach mal einiges ausprobiert. Am Ende war es dann blau und damit ganz und gar im MIETHKE-Kleid.“

 

Das ist also nur das Ergebnis von zufälligen Versuchen?

Christian: „Nein, nicht wirklich. Aber das Ausprobieren hat Spaß gemacht.“

Robert: „Blau bedeutet was für uns: es steht für Harmonie, Vertrauen, ... blau ist auch häufig die assoziierte Farbe für Wasser und darum geht es ja. Um Hirnwasser und um ein Ventil, auf das man sich verlassen kann und dass einen lange vertrauensvoll begleitet, auch über das Wachstum hinweg, über sich verändernde Lebensumstände. Blau passt einfach zu diesem Ventil und zu uns.“

 

Das ist eigentlich ein schönes Schlusswort. Aber eins interessiert mich noch: Warum habe ich euch nie fluchen gehört? Ihr wirkt immer ausgeglichen – wie schafft ihr das?

Robert: „Das mag jetzt platt klingen, aber wir haben einfach Spaß bei diesem Job. Natürlich sind wir auch mal schlecht drauf und natürlich gibt es auch mal Rückschläge. Aber das gehört dazu, zum Job genauso wie zum Leben. Die Basis muss stimmen – und das tut sie absolut… und mit Christian und euch und den anderen sowieso.“

Christian: „Ich hätte es nicht besser sagen können. Vielleicht liegt das auch daran, dass wir schon so lange in einem Büro sitzen? Der Job macht Spaß und wir geben Menschen durch unsere Produkte die Möglichkeit, wieder ein weitgehend normales Leben zu führen. Das gibt Sinn und motiviert ungemein. Dazu die netten Kollegen... und guten Kaffee haben wir auch. Da gibt es kaum Grund fürs Fluchen. Naja, und vielleicht ist es auch einfach nicht unsere Art… Vielleicht fluchen wir leise in uns hinein. Manchmal. Selten.“

 

Da ist was dran. Verratet ihr mir zum Abschluss noch, was euer nächstes Projekt ist?

Christian: „Das ist noch geheim.“

 

Das Interview führte Josefine Kehl, Marketing-Projektmanagerin bei MIETHKE.